Vor- und Nachbereitung im Sportunterricht
Funktion - Arten - Gestaltung - Einflußfaktoren - Dauer - Relevanz - Abwärmphase
Verfasser: L. Cordts, FSL-Sport AS-Verden

Untersuchungen zur Unfallhäufigkeit im Sport haben ergeben, daß die sie am Anfang und am Ende von sportlichen Tätigkeiten besonders hoch ist. Da am Anfang einer sportlichen Tätigkeit die Erwärmung steht, ist anzunehmen, daß diese Phase häufig nicht angemessen und zielgerichtet durchgeführt wird. Zwar gibt es bisher keinen direkten medizinischen Nachweis für Verletzungen durch fehlende oder falsche Erwärmung, jedoch ist unumstritten, daß ein "kalter" Muskel weniger dehn- und strapazierfähig und damit verletzungsanfälliger ist als ein auf gewärmter Muskel. Bei näherer Betrachtung lassen sich aber auch viele andere Verletzungen am aktiven und passiven Bewegungsapparat (Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken) selbst bei Freizeitsportlern auf falsche oder mangelhafte Aufwärmarbeit zurückführen.
Wie hat nun eine angemessene und zielgerichtete Erwärmung auszusehen? Um diese Frage beantworten zu können, will ich kurz darauf eingehen, was die Aufwärmung bewirken soll. Für den Leistungssport gibt es dazu lange Abhandlungen, die jedoch vorwiegend den Aspekt der Leistungssteigerung im Blickwinkel haben. Diese Aussagen sind auf den Schulbereich nur bedingt übertragbar. Ich will deshalb versuchen, die Aspekte in den Vordergrund zu stellen, die im Hinblick auf Verletzungsprophylaxe von Bedeutung sein könnten.

Funktion und Wirkung der Aufwärmung für die Verletzungsprophylaxe:
Wie der Name schon andeutet, ist die wichtigste Aufgabe der Erwärmung zunächst die Steigerung der Körpertemperatur, weil dann die Stoffwechselprozesse schneller ablaufen. Optimal Werte erhalten wir etwa bei 38,5°.
Der beschleunigte Stoffwechsel hat wiederum konkrete Auswirkungen auf die vorrangig an sportlicher Tätigkeit beteiligten Körperpartien.

Muskulatur:

·        Durch Öffnung der Kapillaren wird der Muskel besser durchblutet, die Reibungswiderstäne im Muskel werden durch Temperaturerhöhung verringert und damit der Muskel insgesamt geschmeidiger und elastischer.

·        Gefahr bei ungenügender Aufwärmung: Bei "kaltem" und wenig elastischen Muskel kommt es plötzlicher Belastung zu Muskelzerrungen, -rissen oder sogar Abrissen.

Herz-Kreislauf:

·        Das Atem- und Herzminutenvolumen wird gesteigert. Dadurch erfolgt eine erhöhte Bereitstellung des für die Energieversorgung des Muskels notwendigen Sauerstoffs und gleichzeitig ein verbesserter Abtransport des bei der Energieproduktion anfallenden Kohlenmonoxids.

·        Die Beschleunigung des Stoffwechsels bewirkt außerdem eine vermehrte Ausschüttung der für die Energiegewinnung wichtigen Hormone; hier besonders das Glukagon.

·        Gefahr bei ungenügender Aufwärmung: Die für die Muskelarbeit erforderliche Energie kann auch ohne Sauerstoff gebildet werden; allerdings mit nur geringer Ausbeute und unter Produktion von Milchsäure, die sich im Muskel ablagert, ihn "sauer" macht und zu einem plötzlichen Leistungsabfall = Verletzungsgefahr führt. Spätfolge Muskelkater.

Reizleitung/Nerven:

·        Durch die Beschleunigung der Stoffwechselvorgänge erhöht sich auch die Wahrnehmungs- und Weiterleitgeschwindigkeit der Nerven, das bewirkt wiederum eine Steigerung der Reaktionsfähigkeit  und eine Verbesserung der Koordination.

·        Gefahr bei ungenügender Aufwärmung: Reaktionsfähigkeit und Koordination sind der motorischen Aufgabe noch nicht angepaßt, es kommt zu Fehlreaktionen = Verletzungsgefahr.

Kapsel-Band-Sehnen-Knorpel-System:

·        Für diesen Bereich ist weniger die Erhöhung der Körpertemperatur von Bedeutung, sondern der zweite Wirkungsbereich der Aufwärmung: die Bewegung. Der Knorpel ist auf Bewegung angewiesen, weil er sich vorwiegend durch Diffusion ernährt. Wie ein Schwamm wird er dabei zusammengedrückt, wobei er Flüssigkeit abgibt und entlastet, wobei er Flüssigkeit aufnimmt. Die Folge ist eine Verdickung der Knorpelschicht. Die einwirkenden Kräfte werden auf eine größere Auflagefläche verteilt und durch die zunehmende Wasserbindung besser abgepuffert.

·        Gefahr bei ungenügender Aufwärmung: Die Schäden sind hier nicht sofort sichtbar. Verschleiß und Abnutzung des Knorpels durch unzureichende Pufferung werden häufig erst später deutlich. Allerdings treten gerade in den letzten Jahren immer mehr Verschleißerscheinungen in diesem Bereich bereits bei jungen Menschen auf (zu wenig Bewegung?).

An diesen Aufgaben hat sich eine angemessenen Erwärmung zu orientieren. Welche Möglichkeiten der Erwärmung gibt es?
 

Arten der Aufwärmung:
 
Passive Aufwärmung:
Sie scheidet als Vorbereitung auf sportliche Belastung aus, weil sie nur partiell wirkt, eine ausreichende Erwärmung nur vortäuscht und keine Bewegung enthält.

Aktive Erwärmung:  Einzig sinnvolle Art der Erwärmung
Sie läßt sich unterteilen in:

·        Allgemeine Erwärmung = aktive Arbeit der großen Muskelgruppen zur Steigerung der Körpertemperatur.

·        Spezielle Erwärmung = dehnen und kräftigen zur Vorbereitung der Muskulatur auf die nachfolgende spezielle Belastung.

·        Sportartspezifisch-koordinative Erwärmung = Aufbau eines optimalen Muskel-Nerv-Zusammenspiels.

Mentale Erwärmung = gedankliches "Durchspielen" eingeübter Bewegungabläufe. In der Schule nicht von Bedeutung.
 
Wie sollte eine Aufwärmphase optimal gestaltet sein?
 
1. Stufe: Allgemeines Aufwärmen

·        Aktive Arbeit der großen Muskelgruppen zur Steigerung der Körpertemperatur.

·        Intensität: langsam steigernd

·        Fehler:  Phase zur kurz: Sauerstoff- und Enegieversorgung ist noch nicht einreguliert. Der Körper  gerät in eine anaerobe Stoffwechsellage. Folge: Plötzlicher Leistungsabfall = Gefahr.

·         Phase zu intensiv: Energiebedarf so hoch, daß anaerobe Energiereserven bereits in der  Aufwärmphase verbraucht werden. Folge: Plötzlicher Leistungsabfall = Gefahr

2. Stufe: Sportartspezifische Dehnübungen ("Stretching")

·        Vorwiegend für die zur Verkürzung neigenden Muskelgruppen (Z.B. Nacken-, Brust-, Wadenmuskulatur).Ziel ist die Vergrößerung des Bewegungsausmaßes der Gelenke und dadurch Minderung der Gefahr von Muskel- und Gelenkverletzungen.

·        Sollte immer erst nach ausreichender allgemeiner Erwärmung durchgeführt werden. Gefahr von Muskelverletzungen.

3. Stufe: Kräftigungsübungen:

·        Vorwiegend für die zur Abschwächung neigenden Muskelgruppen (z.B. Bauch-, seitliche Rumpf-, Gesäßmuskulatur). Ziel ist die Stabilisierung der Wirbelsäule und der Ausgleich sportartspezifischer Dysbalancen.

4. Stufe: Sportartspezifisch-koordinative Einstimmung

·        durch Einspielen, Einwerfen, Einschwimmen usw. mit dem Ziel eines optimalen Muskel-Nerv-Zusammenspiels.

Individuelle Erwärmung:

Jeder Sportler/Schüler hat individuelle Problembereiche bei der Bewegung. Sie sollten bei der Gestaltung der Aufwärmphase Berücksichtigung finden. Problem in der Schule!

Dieses Stufenmodell spiegelt natürlich nur die Grobstruktur einer zielgerichteten Erwärmung wider. Darüber hinaus nehmen noch eine Reihe weiterer Faktoren Einfluß auf die Gestaltung einer angemessenen Aufwärmphase.

Weitere Einflußfaktoren auf die Gestaltung der Aufwärmphase:
 
Schwerpunkt: Entscheidender Einflußfaktor

·        z.B.Techniktraining erfordert spezielle Dehn-, Kräftigungs- und Koordinationsübungen entsprechend der Sportart oder Disziplin.

·        z.B. Kondition: Ausdauertraining = besondere Aktivierung Herz-Kreislauf-System

·        Schnelligkeitstraining = gründliche Erwärmung + psychische Frische

Alter: ältere Sportler behutsamer und langsamer steigernd, weil weniger elastisch.
Kleidung: sollte Wärme speichern aber Transpiration ermöglichen
Tageszeit: morgens länger als mittags (15°° Uhr Optimum)
Umgebungstemperatur: bei hoher Umgebungstemperatur kürzer.
Konditioneller Zustand: je besser um so länger.
Momentane Motivation: 6. Stunde, Klassenarbeit usw.
Problem Warm halten: Kalte Hallen, falsche Organisationsformen, Geräteaufbau, Gesprächsphasen bewirken häufig eine schnelle Abwärmung.

Länge und Intensität der Aufwärmphase:

  • Dauer: In der Literatur je nach Sportler und Sportart zwischen 10 Minuten und über einer Stunde. Für eine Schulsportstunde können diese Zeitvorgaben natürlich nicht übernommen werden.

·        Richtwerte: Betriebstemperatur von 38,5° - 39° muß erreicht werden.

·        Betriebs- bzw. Arbeitspuls von mindestens 110 Schlägen/Minute (bei Schülern auch höher [150])

·        Bei gewissen Inhalten wird diese allgemeine Aufwärmphase ausreichen. Andere Inhalte werden ein stärkeres Augenmerk auf die Dehn- und Kräftigungsphase verlangen. Wiederum andere werden eine verstärkte koordinative Einstimmung erfordern, die aber eventuell mit der allgemeinen Erwärmung gekoppelt werden kann.

·        Demnach kann die Aufwärmphase im Schulsportunterricht auch kürzer ausfallen. Wichtig ist eine angemessene Intensität.

Intensität: individuell verschieden

·        Beginn mit geringer Belastung

·        langsame Steigerung bis auf 50 - 70% der maximalen Leistungsfähigkeit

Merkmale eines angemessen erwärmten Körpers:

·        Leichter Schweißaustritt - Übererwärmung: tropfender Schweißaustritt

·        Leichte Hautrötung (vorwiegend Gesicht) - Übererwärmung: starke Rötung, fleckige Haut (z.B. weiße Munddreiecke)

·        Leicht gesteigerte und vertiefte Atmung - Übererwärmung: hechelnde Atmung durch weit geöffneten Mund

·        Leicht erhöhte Pulsfrequenz (110/150) - Übererwärmung: Pulsjagen

·        Erwartungsvolle und konzentrierte Stimmung - Übererwärmung: Bewegungsunlust.

Häufige Fehler beim Aufwärmen:

·        Häufig zu kurz ("Toter Punkt" tritt schnell ein, weil Phase noch nicht abgeschlossen) oder zu intensiv ("Toter Punkt" bereits in Aufwärmphase)

·        Falsche durchführung von Dehn- und Kräftigungsübungen (mehr rituellen als funktionellen Charakter = Fußballer bei Einwechselung)

Relevanz des Aufwärmens für den Sportunterricht:
Pragmatische und konkrete Zielsetzungen:

·        Stillen des ersten "Bewegungshungers" (Abreaktion Übererregungszustände, Lösung Hemmungszustände) = Stabilisierung der emotionellen Lage.

·        Umschalten (von psychischer Belastung auf freudvolles Sport treiben) und Einstimmung auf folgende Bewegungsaufgabe.

·        Schaffung erleichternder Lernvoraussetzungen ("Motor ist schon eingefahren" und für folgende Aufgaben sensibilisiert).

·        Verletzungsprophylaxe

Primarbereich: geringes Verletzungsrisiko = allgemeines spielerisches Aufwärmen (evtl. auch Verzicht auf physisches Aufwärmen bei entsprechendem Inhalt).
Ab Klasse 6/7: Steigerung des Verletzungsrisikos; Sportartspezifische Inhalte erfordern spezielle Aufwärmung.

·        Leistungssteigerung/Wettkampfvorbereitung (Sek II)

Übergeordnete Zielsetzung:
Später im außerschulischen Sportbereich (zumeist Freizeitbereich) eigenverantwortlich angemessene Entscheidungen für die Gesunderhaltung des eigenen Körpers treffen zu können.

Abwärmphase:
Verletzungsanfälligkeit steigt zum Ende der sportlichen Tätigkeit ebenfalls an. In der Fachliteratur findet diese Phase - auch als "Abwärmen" oder "Cool down" bezeichnet - stärkere Beachtung. Die besondere Bedeutung einer sinnvollen Abwärmphase für die Regeneration der Muskulatur und des Kapsel-Band-Sehnen-Knorpel-Systems, für die Abschwächung von Dysbalancen und für die Wiedererlangung "geistiger Frische" wird dabei herausgestellt. Diese Aussagen sind  allerdings vorwiegend auf den Leistungssport bezogen und nur bedingt auf den Schulsport zu übertragen. Einige Prinzipien sollten jedoch auch im Schulsport Berücksichtigung finden:

·        Ruhiger Stundenausklang - nicht mit einem anstrengenden Spiel enden (Verletzungsgefahr durch konditionelle Schwächen, Körper arbeitet nach über die Stunde hinaus, unbewältigte Probleme werden aus der Sportstunde herausgetragen)

·        Angemessene Hygienemaßnahmen als Abschluss der sportlichen Belastung (Ableitung der "Schlacke")

Im Sinne der übergeordneten Zielsetzung, später eigenverantwortlich angemessene Entscheidungen für die Gesundheit des eigenen Körpers treffen zu können, sollte das

·        Abwärmen in Gesprächsphasen problematisiert werden (Belastung - Entspannung; angenehme - unangenehme Gefühle bewußt machen)

·        Dabei Grundsätze (Struktur, Maßnahmenkatalog, Ausrichtung auf vorherige Belastung) eines angemessenen Abwärmprogramms entwickeln.

·        Fähigkeit des individuellen "Sich-Abwärmens" ausbilden