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Down Under ist alles anders?

Englischsprachige Podiumsveranstaltung zum Thema
"Multiculturalism - How could it work?"
“Die multikulturelle Gesellschaft - Chaos oder Gesellschaft der Zukunft?"

Der Besuch von Schülern unserer Partnerschule Trinity Grammar School, Melbourne, Australien im September 1998 in Fulda war Anlass für diese Podiumsdiskussion. Australien ist ein Einwanderungsland und die multikulturelle Gesellschaft schlechthin. In Melbourne, der Heimat unserer Gastschüler, leben etwa 140 Nationalitäten. Was lag also näher, als sich über Erfahrungen aus erster Hand zu informieren? Dies taten die Leistungskurse Englisch, Gemeinschaftskunde und Deutsch von Eugen Weber, Andreas Sehn und Arno Westerhoff.

Was weißt Du über Australien? - Nicht viel?

Im ersten Teil der Veranstaltung gab Andrew Ferguson, der australische Deutschlehrer unserer Gastschüler, einige allgemeine Informationen über sein Land.

Nord-Süd-Gefälle
Die multikulturelle Gesellschaft sei im Süden von Australien mehr Realität als im Norden. Die Offenheit gegenüber Menschen nicht europäischen Ursprungs sei hier sehr groß. Im Norden mit einem geringen Bevölkerungsanteil von Menschen z.B. asiatischen Ursprungs gäbe es wenig Berührungspunkte zwischen unterschiedlichen Kulturen und Rassen. Darin sah Andrew Ferguson die eher konservative, der multikulturellen Gesellschaft weniger aufgeschlossenen Haltung der dortigen Bevölkerung begründet.

Integrationspolitik
Die australische Politik lege zwei Grundvoraussetzung für die Integration in die australische Gesellschaft fest:
1. die Einhaltung der Gesetze
2. das Erlernen und Anerkennen von Englisch als Hauptsprache.
Ansonsten sei jedem Einwanderer möglich, seine Kultur und Sprache beizubehalten und seine Religion frei auszuüben. Als ein Indiz für diese tolerante Haltung führte Andrew Ferguson die Möglichkeit der Wahl zwischen ca. 45 Sprachen als Abiturprüfungsfach an.

Aborigines mit Sonderstatus
Die Zahl der Aborigines sei seit der Besiedlung Australiens von mehr als einer Million auf etwa 30.000 heute gesunken. Darin liege die besondere Stellung der Aborigines begründet. Historisches Unrecht sei nicht rückgängig zu machen. Die australische Gesellschaft habe sich jedoch gewandelt und befasse sich damit, Landrechte und Selbstbestimmung dieser Bevölkerungsgruppe mehr zu achten. So gäbe es z.B. eine neue Achtung von Stammesgesetzen, auch wenn hier Konflikte mit den westlichen Normen auftauchten.

Einwanderungsland
ohne direkte Nachbarn und ohne kriegerische Auseinandersetzungen
Der europäischen Einwanderungswelle seien um 1800 mit dem Goldrausch (1850er) eine chinesische und vor und nach den Weltkriegen weitere europäische Wellen gefolgt. In den 1950er Jahren seien Europäer ermutigt worden, nach Australien einzuwandern und besonders Italiener und Griechen seien diesem Aufruf gefolgt. In den letzten Jahren seien vornehmlich Asiaten nach Australien eingewandert, was auch durch die enge wirtschaftliche Bindung Australiens an Asien bedingt sei. Australien sei in der glücklichen Lage, nie einen Krieg auf seinem Territorium gehabt zu haben.

Europäischer und deutscher Einfluss
Der Einfluss der ersten Siedler aus England aber auch der späteren aus Deutschland sei natürlich noch heute in vielfältiger Weise deutlich z.B. in Kultur und Landwirtschaft (z.B. Weinbau). So sei der Botanische Garten in Melbourne vom deutschen Baron von Müller, einem für Australien wichtigen Naturforscher, angelegt worden.

Meinungen und Erfahrungen aus deutscher und australischer Sicht

Simon, 16 Jahre, europäischer Abstammung, Melbourne
Simon berichtete, dass Melbourne die drittgrößte griechische Gemeinde der Welt habe und mehr als 140 Nationalitäten dort lebten. Australien sei ein rassisch und kulturell sehr tolerantes Land. Allerdings gäbe es eine Ausnahme: die rechtsgerichtete One Nation Party von Pauline Hanson, die das Ende der Einwanderung und die Abschaffung der Sonderbehandlung von Aborigines fordere. Er meinte, dass man von der multikulturellen Gesellschaft profitiere. Er berichtete von einer Erfahrung in der Juniour School. Ein farbiger Junge verließ nach einem Jahr die Schule, da er wegen seiner Hautfarbe gehänselt wurde. Das Verhalten der Schüler habe sich aber inzwischen in der Senior School grundlegend geändert, da der Umgang mit Mitschülern verschiedener Rassen nun selbstverständlich geworden sei. Allerdings berichte die Sensationspresse besonders gerne über Drogenfälle und Kriminaliät, wenn asiatische Gangs und Ausländer beteiligt seien. Seiner Meinung nach hätten jüngere Leute aufgrund ihres persönlichen Kontakts mit anderen Kulturen weniger Probleme mit diesen, als ältere Leute, für die der Kontakt ungewohnt sei.

Mehrak, 20 Jahre, iranischer Abstammung, Fulda
Mehrak kam als 11-jährige aus dem Iran nach Deutschland, da ihre Mutter aufgrund ihrer politischen Aktivitäten verfolgt wurde und flüchten musste. Die erste Zeit in einem Dorf in der Nähe Fuldas war für sie sehr schwierig und sie fühlte sich offen diskriminiert. Nach ihrem Umzug nach Fulda bekam sie durch Jugendklubs Kontakt mit deutschen Jugendlichen und auch Jugendlichen anderer Nationalitäten. Sie habe nur noch wenige Probleme als Ausländerin, was sie auf das Umfeld in einer größeren Stadt zurückführt. Allerdings ist ihr bewusst, dass sie die Kultur ihrer Eltern zu verlieren drohe, was für sie durchaus ein Problem sei. Sie äußerte sich positiv über den Wahlsieg der SPD. Sie erhoffe sich insbesondere eine bessere Politik Ausländern gegenüber.

Elisha, 16 Jahre, europäisch-indischer Abstammung, Melbourne
Elisha ist sehr froh darüber, multikulturell aufzuwachsen. Besuche bei seinen indischen Verwandten und Kontakt mit deren Sitten und Gebräuchen eröffneten ihm neue Horizonte. Da Australien ein Einwanderungsland sei, entwickele sich ein multikulturelles Erbe und ein hohes Maß an Toleranz. In Melbourne werde das für ihn besonders positiv deutlich in der Vielzahl unterschiedlicher Restaurants und Theater.

Tobias, 18 Jahre, Fulda
Tobias sieht die multikulturelle Gesellschaft von zwei Seiten. Er befürwortet das Zusammenleben vieler Kulturen, sieht aber in Deutschland die Gefahr von steigender Kriminalität, Arbeitslosigkeit und Zerstörung der deutschen Kultur. Wenn deutsche Kinder in der Grundschule in der Minderheit seien und durch die mangelnden Sprachkenntnisse der Mitschüler kein richtiger Unterricht möglich sei, müsse etwas verändert werden. Es sei nicht akzeptabel, dass sich Ausländer nicht integrierten, sich in Ghettos zurückzögen  und nicht die deutsche Sprache lernten. 8 Millionen Ausländer seien so zu viel. Er habe auch Ausländer als Freunde. Es gäbe aber des öfteren Auseinandersetzungen.

Jonathon, 15 Jahre, europäischer Abstammung, Melbourne
Für Jonathon sei die multikulturelle Gesellschaft nichts besonderes sondern der Normalfall. In seiner Klasse seien 5 bis 6 Nationalitäten vertreten. Viele Asiaten schickten ihre Kinder nach Australien, um ihnen eine gute Bildung zu ermöglichen. Anfangs sei für diese Kinder die Sprache ein Problem und die "Weissen" müssten sehr viel helfen. Im Allgemeinen seien die Australier aber sehr tolerant. In den Schulen gäbe es für Einwanderer ohne englische Sprachkenntnisse als offizielles Schulfach ESL (English as a Secondary Language). Dass sie auch noch in ihrer Muttersprache unterrichtet würden sei selbstverständlich.

Brita, 19 Jahre, Schwedin, Fulda
Brita habe als Ausländerin in Deutschland keinerlei Probleme. Dies sei aber darauf zurückzuführen, dass sie die Sprache beherrsche und sie von der Hautfarbe her nicht als Ausländerin "erkennbar" sei.

Diskussionspunkte

Ghettobildung und Arbeitslosigkeit
Die mangelnde Bereitschaft von einigen Ausländern, sich mit Sprache und Kultur des Gastlandes auseinanderzusetzen, führe somit zwangsläufig zu Problemen wie Selbstisolation und Ghettobildung.
Dies sei z.B. in griechischen und vietnamesischen Stadtteilen Melbournes offensichtlich. Hier sei aber zu beobachten, dass sich diese Isolation ab der zweiten Generation vermindere. In Fulda gäbe es besonders auf dem Aschenberg Konflikte, da die türkischen und russischen Jugendlichen nur ihresgleichen suchten und es zu z.T. gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen diesen Gruppen und auch mit deutschen Gruppen käme. Gründe für die mangelnde Motivation Deutsch zu lernen und sich zu integrieren seien die Frustration über mangelnde Perspektiven. Einige russische Kinder seien wider Willen nach Deutschland mitgebracht worden und zeigten so ihre Protesthaltung. Auf lange Sicht könne man auf das Aufbrechen der Ghettos und den Aufbau von Beziehungen "nach außen" hoffen. Hier wurde die Rolle der zweiten Generation erwähnt, die offener sei als die erste. Durch diese Offenheit sei auch Integration durch Sprache und Ausbildung eher möglich. Durch die Situation auf dem Arbeitsmarkt werde dieses Problem natürlich verstärkt und die Beziehung durch den Konkurrenzkampf weiter erschwert.

Privilegien für Ausländer?
Auch in Australien gäbe es Konflikte mit Ausländern. Die oben erwähnte Praxis von Asiaten, ihre Kinder auf australische Schulen zu schicken, führe zu Unmut bei den Australiern. So könnten reiche Asiaten ihren Kindern eine bessere Ausbildung zukommen lassen als normale Australier, die sich teure Schulen nicht leisten könnten. Sie würden die Sozialdienste, das Bildungssystem und den Gesundheitsdienst Australiens auf Kosten der Australier zu ihrem Vorteil ausnutzen, was zu Neid in
Teilen der australischen Bevölkerung führe. In Deutschland sei es ein Problem, dass in Schulklassen mit hohem Ausländeranteil die deutschen Schüler aus Rücksichtnahme auf die mangelhafte Sprachbeherrschung der Ausländerkinder wenig gefördert würden. Dies benachteilige sie in ihrer schulischen Laufbahn.

Schlussfolgerung

Hoffen auf die kommenden Generationen
Es wurde offensichtlich, dass viele deutsche Teilnehmer an dieser Veranstaltung wenig Erfahrung mit einer multikulturellen Gesellschaft hatten. Aus den Beiträgen der Podiumsteilnehmer, insbesondere unserer australischen Gäste, und den Äußerungen aus dem Plenum wurde jedoch deutlich, dass diese Gesellschaft nur funktionieren kann, wenn Kontakte hergestellt und Beziehungen aufgebaut werden . Dies scheint um so besser möglich, je länger Einwanderer schon im Land sind. Die Hoffnung auf ein harmonisches Zusammenleben ruht also auf der zweiten und den folgenden Generationen - sowohl auf der Seite der Einheimischen als auf der Seite der Einwanderer.

Die Veranstaltung wurde durch musikalische Beiträge von Michael P. (Gesang) und Nico S. (Klavierbegleitung) sowie Florian F. (Klavier) mitgestaltet.
(Eugen Weber)