Zeitzeugengespräch mit Paul Niedermann
Vor ca. 300 SchülerInnen der Jahrgangsstufen 10, 12 und 13 berichtete der Zeitzeuge Paul Niedermann, dem man sein Alter von 80 Jahren kaum abnehmen möchte, an zwei Vormittagen im April 2008 über seine turbulente Kind- und Jugendzeit im besetzten Nazideutschland und Frankreich.
Schnell gelang es ihm, mit seinen bewegenden Ausführungen, die SchülerInnen zu fesseln, sie hingen ihm förmlich an den Lippen, denn es bot sich ihnen „Geschichte zum Anfassen“.
Gleich zu Beginn stellte er klar, dass er die heutigen Jugendlichen nicht dafür verantwortlich mache für das, was sich in der Zeit ihrer Großeltern abgespielt habe.
Herr Niedermann berichtete von dem Schock, als ihn sein Klassenlehrer 1935 in seinem 2. Grundschuljahr (aufgrund der Nürnberger Rassengesetzte) aus dem Unterricht geholt habe: „Niedermann, aufstehen! Du bist Jude, du kannst nicht mit dem deutschen Gruß Heil Hitler grüßen, pack deinen Kram zusammen, du gehst nach Hause und du kommst auch nicht mehr wieder“. Er fasste dies mit den Worten zusammen“ „Rausschmiss. Weil ich Jude war.“
Wie die anderen jüdischen Kinder hat er dann noch 2 Jahre in der jüdischen Grundschule verbracht. Verblüfft vernahmen die SchülerInnen, dass diese 4 Grundschuljahre die einzige schulische Bildung des Referenten darstellten.
Am 22. Oktober 1940 wurde Paul Niedermann mit seiner Familie in der sog. Wagner-Bürckel-Aktion mit anderen 6.500 Juden in ihrer Wohnung abgeholt und in insgesamt 9 Eisenbahnzügen in das Lager Gurs (Frankreich-Pyrenäen) abtransportiert.
Lebendig erzählte er vom „Schlamm“ des Lagers, überfüllten Baracken, mangelhafter Ernährung („Suppe, die aussah, wie mein Spülwasser“), aber auch von hilfsbereiten spanischen Republikanern, die schon vor den badischen und Pfälzer Juden Gefangene in diesem Lager waren.
Aufgrund des total überfüllten Lagers Gurs und den vollkommen unzureichenden hygienischen Bedingungen dort wurden die meisten Insassen in das Lager Rivesaltes (bei Perpignan) gebracht. Was in Gurs der Schlamm war, war in Rivesaltes der eisige Wind, der den Lagerinsassen zu schaffen machte.
Nach einem Jahr Aufenthalt in Rivesaltes wurden Paul Niedermann und sein Bruder Arnold von der jüdischen Organisation OSE aus dem Lager gerettet. Bewegend berichtete er: „Nie werde ich die Augen meiner Mutter bei unserem Abschied vergessen“. Er sah seine Eltern nie wieder, die über das Lager Drancy (Paris) nach Auschwitz bzw. Majdanek-Lublin deportiert wurden.
Während Paul mit Hilfe von OSE in verschiedenen Auffangkinderheimen in Frankreich versteckt wurde, wurde sein Bruder Arnold mit dem letzten Quäkertransport in die USA zu Verwandten gebracht. „Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie alleine ich da war. Ich habe nächtelang geweint. Französisch sprach ich ja überhaupt nicht, ich konnte mich mit niemandem mehr unterhalten.“
Nach einigen Monaten im Kinderheim Izieu (bei Grenoble) wurde Paul Niedermann 1943 mit einigen anderen Jugendlichen in die Schweiz gebracht.
Für die SchülerInnen vergingen die jeweils 2 Schulstunden wie im Fluge, es wurden noch zahlreiche Fragen gestellt, gerne hätten sie Paul Niedermanns Ausführungen noch länger zugehört.
Herr Niedermann, der zum ersten Mal in Fulda war, versprach, im nächsten Jahr wiederzukommen.